Fusionsreaktoren – Der lange Weg von der Vision zur Realität

Die Energiequelle der Sonne auf der Erde nutzbar zu machen, ist ein alter Traum, dessen Umsetzung bereits in die Wege geleitet ist: Die Vision besteht darin, dass man eine gewisse Menge an Energie aufbringt, um eine größere Menge als Gewinn zurück zu erhalten. Damit könnte ein Wirkungsgrad von über 100% erreicht werden – ohne Schadstoff-Emissionen, ohne dauerhafte Endlagerung radioaktiver Abfälle oder die Gefahr eines zweiten Tschernobyls/Fukushimas und dabei trotzdem auf dem Leistungsniveau von Atomkraftwerken. Der derzeitige Wirkungsgrad eines Kernkraftwerks, bezogen auf den Energiegehalt des in einem Brennstab umgesetzten Uran-235, liegt gerade einmal bei etwa 35%.

Der Startschuss fiel 1952 auf einer Insel im Pazifik…

Schon bei der Entwicklung der Atombombe wurden theoretische Konzepte erdacht, um Energie mittels Kernfusion zu erzeugen. 1952 zündeten die USA die erste Wasserstoffbombe namens „Ivy Mike“ im Eniwetok-Atoll / Pazifik. Dieser gewaltige Knall erbrachte den Nachweis, dass auch auf der Erde große Energiemengen durch Kernfusion freigesetzt werden können. Der Preis dafür war die Atollinsel Elugelab.

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Der große Durchbruch zur kontrollierten Fusion gelang 1968 in der Sowjetunion mit dem Bau eines donutförmigen Plasma-Einschlussgerätes, umgeben von Magnetfeldspulen – genannt Tokamak. Ein weiteres Designkonzept, zum Bau von Fusionsreaktoren, sind Stellaratoren. Sie unterscheiden sich hauptsächlich in der Verfahrensweise, mit der das benötigte Magnetfeld erzeugt wird. Erst seit Ende des 20. Jahrhunderts ist es, mithilfe von Computern, möglich die komplexe Geometrie der Magnetfeldspulen zu berechnen und damit den Bau von Stellaratoren zu realisieren. Noch hat sich keines der Konzepte als „Sieger“ erwiesen, beide haben Vor- und Nachteile. Stellaratoren sind deutlich aufwendiger im Bau, können aber im Dauerbetrieb leichter kontrolliert werden.

 

Das Fundament der Vision ist nun gelegt … Ein Wirkungsgrad von 1000 %

In Südfrankreich wurde Ende 2012 das Fundament für den zukünftig größten Tokamak Experimentalreaktor ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor / lat.„der Weg“) gelegt. Ein passender Name für den erhofften Aufbruch in ein neues Zeitalter der Energieversorgung. Der ursprüngliche Favorit für den Standort war eigentlich Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern. Jedoch wurde die Zusage für eine Standort-Bewerbung durch Helmut Kohl von seinem Nachfolger Gerhard Schröder leider zurückgezogen. Damit wäre das weltgrößte Tokamak-Experiment ITER in direkter Nachbarschaft zur Baustelle des weltgrößten Stellarator-Experiments Wendelstein 7-X entstanden.

Der ITER-Reaktor soll eine Fusionsleistung von 500 Megawatt liefern – zehnmal mehr, als zur Aufheizung des Plasmas verbraucht wurde. Dazu benötigt er ein Magnetfeld von 5 Tesla. Unser Erdmagnetfeld hat an seiner stärksten Stelle gerade einmal 48 µ-Tesla. Die geschätzten Kosten der 10-jährigen Bauphase sind bei 13 Billionen Euro (!) angesetzt. Diese Herausforderungen an Kosten und Technologie sind von einem einzelnen Land nicht zu bewältigen, daher haben sich sieben Parteien zu einem Wissenschaftsbündnis zusammengeschlossen: Die Europäische Union, Japan, Russland, die Volksrepublik China, Südkorea, Indien und die USA. Der Löwenanteil von 45,5% stammt dabei aus Europa. Die einzelnen Länder bringen Ihren Beitrag nur teilweise in Form von Geld auf. Stattdessen liefern sie oft fertige Komponenten und bauen benötigte Gebäude vor Ort auf. Am 15. Januar diesen Jahres hat ein Französisch-Spanisches Firmenkonsortium (VFR) den 300 Mio. Euro Auftrag zum Bau des Tokamak-Komplexes unterzeichnet. Dieser 80m hohe, 120m lange und 80m breite Gebäudekomplex wird das Kernstück der Anlage, den Reaktor, beherbergen. Die Fertigstellung und Inbetriebnahme ist vorraussichtlich 2020 geplant.

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Die Energiequelle der Sterne auf der Erde nutzbar machen –
Wie soll das funktionieren?

In einem Fusionsreaktor sollen die Kerne der Wasserstoffisotope, Tritium und Deuterium, zu Helium verschmolzen werden. Diese lassen sich in irdischen Verhältnissen am einfachsten fusionieren. Dabei entsteht ein Neutron und sehr viel Energie. Während der Fusion, setzt ein Gramm Wasserstoff etwa dieselbe Menge an Energie frei, wie die Verbrennung von acht Tonnen Erdöl oder elf Tonnen Kohle.

Deuterium-Tritium Fusion

Deuterium („schwerer Wasserstoff“) ist in kleinen Anteilen in Wasser enthalten. Tritium („superschwerer Wasserstoff“) soll in den Fusionskraftwerken aus dem Rohstoff Lithium, als Nebenprodukt des Regelbetriebs, erzeugt werden.

Die benötigte Temperatur für die Verschmelzung dieser Isotope liegt bei 150 Millionen Grad Celsius – 10mal heißer als im Kern der Sonne. Dort kann die Kernfusion aufgrund der enormen Druckverhältnisse schon bei geringerer Temperatur ablaufen. Im Zentrum der Sonne liegt der Druck bei etwa 200 Milliarden Bar, dies entspräche dem Gewicht der Cheops-Pyramide auf einem Stecknadelkopf.

Um den Fusionvorgang zu starten, muss der gasförmige Wasserstoff innerhalb einer Vakuumkammer mit viel Energieaufwand aufgeheizt werden, bis er den Plasmazustand annimmt (4. Aggregatzustand). Tokamak-Reaktoren, wie ITER, kombinieren dazu verschiedene Heizmethoden miteinander: Sehr starke Magnetfelder induzieren Strom im Plasma, der Ionen und Elektronen in sehr schnelle Bewegung versetzt. Bei Kollisionen der Teilchen entsteht eine enorme Hitze. Diese Heizmethode reicht alleine allerdings nicht aus, um die Fusionstemperatur von 150 Mio.°C zu erreichen. Deshalb wird das Plasma und der Reaktor selbst mit hochenergetischen Mikrowellen bestrahlt. Neutralteilcheninjektoren schiessen zusätzlich Deuterium-Atome (im elektr. neutralen Zustand), die mit mehreren 1000 Volt beschleunigt wurden, ins Plasma um dort noch mehr Kollisionen hervorzurufen.

Die darauffolgende Herausforderung besteht darin, das Plasma zu kontrollieren. Die extrem starken Magnetfelder können es „in der Schwebe“ halten und weiter aufheizen. Allerdings ist die Temperatur und der dauerhafte Beschuss von Neutronen eine unglaubliche Belastung für das Material. Zur Abschirmung werden fliesenartige Schilde – Blankets – benutzt mit den Maßen 1m x 1,5m und einem Gewicht von je 4,6 Tonnen. Im Iter-Reaktor sind insgesamt 440 Blankets eingeplant. Aufgrund seiner hohen Wärmekapazität und Dichte wurde Beryllium zur Beschichtung der Blankets ausgewählt. Bereits bei den Bremsscheiben des Space-Shuttles hat es gute Dienste geleistet und die ultraharten Röhren des LHC in Cern sind damit verstärkt. Der Divertor am Boden des Reaktors hat die größte Kontaktfläche mit dem Plasma und besteht aus Wolfram, getragen von einer Stützkonstruktion aus Stahl. Seine Funktion ist die Ableitung der Hitze, mit der Energie erzeugt werden soll, und das Extrahieren der Helium-Asche.

Der Divertor wird, aufgrund seiner Funktion, das Haupt-Verschleißteil sein und durch den Teilchenbeschuss radioaktiv. Die verbrauchten Divertoren und abgenutzten Blankets müssen dann sicher eingelagert werden, ähnlich dem Atommüll – aber mit einer deutlich geringeren Halbwertszeit als Uran-Brennstoff. Durch derzeit laufende Werkstoffentwicklungen soll sichergestellt werden, dass der größte Teil der aktivierten Anlagenteile, nach Ende der Nutzungsdauer, für lediglich etwa 100 Jahre kontrolliert gelagert werden muss, bis ein Recycling möglich ist; der kleinere Teil muss ungefähr 500 Jahre gelagert werden. Eine Endlagerung wäre somit nicht nötig.

 

Weitere Fusionsreaktoren

JET ist die (noch) größte Tokamak-Fusionsanlage und steht in Culham (GB). Der Bau begann bereits 1977 und im Jahr 1991 wurde dort die erste kontrollierte Kernfusion der Geschichte, mit einer Leistung von 1,8 Megawatt, erreicht. JET ist zudem der erste Reaktor, der einen Wirkungsgrad von 100% erreichte. Er konnte kurzzeitig genauso viel Energie liefern, wie zuvor investiert wurde. Die durch ihn gewonnenen Erkenntnisse ermöglichten die Planung eines verbesserten Nachfolgers, ITER.

Am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald wird gerade ein Stellarator, der Wendelstein 7-X, aufgebaut. In dieser Anlage soll ein optimiertes Magnetfeld (erzeugt durch supraleitende Spulen) mit einer Stärke von 3 Tesla erprobt werden, um das Plasma stabil zu halten. Ziel ist es, dass der Reaktor eine Kraftwerksturbine antreibt und somit Strom erzeugen kann. Noch werden einige Sicherheitsbedenken, in Bezug auf die Strahlungsisolierung, überprüft. Der Betriebsstart ist dennoch für 2014 geplant.

 

Quellen und weitere Informationen:
ITER-ProjektseiteF4E│Wikipedia│ScienceMag.orgIPPJETFinancial Times DeutschlandF4E auf Youtube